Geschichte

 

In welchem Style sollen wir bauen (Heinrich Hübsch)

Am Anfang war: die Polytechnische Schule.

 

In der Wissenschaftsgeschichte gebührt der Universität Karlsruhe (Technische Hochschule), jetzt KIT, in mehrfacher Hinsicht eine Vorreiterrolle. Sie entstand als erstes Polytechnikum Deutschlands und etablierte damit nicht nur einen neuen Ausbildungsgang, sondern verstand es auch bis in die heutige Zeit hinein, sich als eine führende Institution zu behaupten. Von Anfang an hat das Fach Architektur dabei eine tragende Funktion übernommen.

Ihre Gründung verdankt die Technische Hochschule der Initiative des Landesfürsten Großherzog Ludwig, der 1825 per Erlass die „Polytechnische Schule“ ins Leben rief. Dem Vorbild Karlsruhes folgten Darmstadt (1826), München (1828), Dresden (1828) und Hannover (1831) mit der Einrichtung entsprechender Ausbildungsstätten.

Vorbild für die Karlsruher Polytechnische Schule war die 1794/95 gegründete Ecole Polytechnique in Paris, die erste Hochschule für Ingenieure und Architekten mit einem wissenschaftlich-technischen Lehrprogramm. Im Mittelpunkt des polytechnischen Unterrichtsmodells stand die Verbindung von Theorie und Praxis. Anhand konkreter Aufgabenstellungen wurde Wissen in direkten Nutzen umgesetzt. Als didaktisches Mittel diente ein schrittweise aufgebautes Problemlösungsverfahren, d.h. ein methodisches Vorgehen, ein für die Praxis relevantes Instrumentarium, das auch auf anders gelagerte Fälle Anwendung finden konnte.

Die Karlsruher Polytechnische Schule entstand aus der Vereinigung verschiedener bereits existierender Ausbildungsstätten. Hierzu gehörte u.a. die 1807 entstandene Ingenieurschule von Gottfried Tulla (1770-1828) und die von Friedrich Weinbrenner (1766-1826) seit 1800 geführte private Bauschule. Weinbrenner verwirklichte in seiner Bauschule bereits polytechnische Ziele. Sie bestanden in der Verbindung von Theorie und Praxis, der Projektierungsarbeit in Form von Übungen und der Zusammenfassung der Schüler in Lerngemeinschaften.

Diese Bestandteile des Curriculums fanden Übernahme in das Programm der neugegründeten Schule. Nach einer dreijährigen Grundausbildung mit starker mathematischer Ausrichtung folgte die Spezialisierung. Entweder nahm man das Ingenieurstudium bei Tulla oder das Architekturstudium an der Bauschule auf, die beide noch als eigenständige Einrichtung erhalten blieben. Die Polytechnische Schule war zu diesem Zeitpunkt noch eine Vorstufe für angehende Ingenieure und Architekten, in der sie Allgemeinbildung und Grundlagenwissen vermittelt bekamen, bevor sie Spezialkenntnisse in den angegliederten Fachschulen erhielten.

Nach einigen wenigen Jahren der Erfahrung beauftragte das Großherzogliche Ministerium des Innern den Staatsrat Friedrich Nebenius im Jahr 1832 mit der Reorganisation der Polytechnischen Schule. Die Grundausbildung gliederte sich nun in zwei Klassen, in denen neben Mathematik und Physik auch technische Zeichnungslehre als theoretischer Mittelpunkt stand.

Dieses „Karlsruher Modell“ blieb nicht ohne Auswirkungen auf andere Institutionen, insbesondere die 1855 gegründete Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich folgte ihm. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte erfuhr es weitere Modifikationen, vor allem aber Erweiterungen. Im Jahre 1865 waren dann die Voraussetzungen gegeben für eine Hochschulverfassung der Polytechnischen Schule und die rangmäßige Gleichstellung mit den Universitäten, wenngleich die offizielle Bezeichnung als „Technische Hochschule“ in Karlsruhe erst 1855 und als Universität schließlich 1967 erfolgte.

 

 

Die Geschichte der Architektur in Deutschland ließe sich exemplarisch anhand der Technischen Hochschule in Karlsruhe schreiben. Sicherlich gilt dies auch für andere Ausbildungsstätten, doch behauptete Karlsruhe speziell im 19. Jahrhundert und bis zum Ausgang des Kaiserreichs eine Vorrangstellung

Maßstäbe wurden bereits durch die Bautätigkeit in der Stadt gesetzt, denn in Karlsruhe etablierte sich seit der Zeit um 1800 mit dem badischen Oberbaudirektor Friedrich Weinbrenner (1766-1826) ein Zentrum des deutschen Klassizismus. Als Berater der Kommission, die sich 1808 mit der Bildung der Polytechnischen Schule befasste, gehörte der gebürtige Karlsruher Weinbrenner zu den Gründervätern, obwohl er nicht explizit an der neuen Lehranstalt unterrichtete und nur ein Jahr nach ihrer Eröffnung starb.

Und doch beginnt mit Weinbrenners Bauschule die am Karlsruher Polytechnikum fortgeführte Verbindung der Lehrer mit einem Staatsamt, wodurch die Studenten nicht bloß der Praxisbezug, sondern auch der Einblick in die spätere Tätigkeit innerhalb der Bauverwaltung gewährleistet war. Anfänglich diente das von Weinbrenner erbaute Lyzeum am Marktplatz als Sitz in der Polytechnischen Schule. Daher gebührt ihm auch die Ehre, als erster Architekt einen Bau für die Karlsruher Hochschule entworfen zu haben, selbst wenn dieser nicht ursprünglich für das Polytechnikum vorgesehen war. Weinbrenner steht somit am Anfang einer bis in die 1920er Jahre währenden Karlsruher Traditionslinie, die die Beauftragung der an der eigenen Schule unterrichtenden Architekten mit Institutsbauten als eine programmatische Darstellung der Hochschule nach außen verstand.

Nachfolger von Weinbrenner im Amt und zugleich Lehrer am Polytechnikum wurde dessen Schüler Heinrich Hübsch (1795-1863). Bereits 1828 veröffentlichte er die einflussreiche Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“, in der er sich in deutlichen Worten vom Klassizismus abwandte. Hübschs Stilbegriff ist nicht historisch, sondern technologisch definiert. Einer der ersten Bauten, die Hübsch im Rundbogenstil erstellte, war das neue Gebäude der Polytechnischen Schule an der Kaiserstraße, das zwischen 1829-1833 geplant und bezogen wurde. In der Folgezeit mehrfach erweitert, dient es heute der Verwaltung des KIT.

Die als Historismus bezeichnete Zeit des Stilpluralismus fand in maßgeblichen Architekten am Karlsruher Polytechnikum Niederschlag. Zu ihnen zählen als wichtigste Vertreter Josef Durm (1837-1919) , der Erbauer des Aulabaus (1892-1899) und des Botanischen Instituts (1895-1897) und Carl Schäfer (1844-1908). Beide Architekten zeichneten sich durch die Abfassung von Handbüchern mit wissenschaftlichem Anspruch über die ihnen vorbildhaft erscheinenden Epochen aus.

 

 

Erst mit dem gebürtigen Karlsruher Hermann Billing (1867-1946), der wenige Semester lang an der Technischen Hochschule seiner Heimatstadt studiert hatte, verpflichtete man im Jahr 1907 einen Vertreter des Jugendstils. Das Multitalent Billing, der sich neben der Architektur auch der Malerei, Bildhauerei und dem kunstgewerblichen Innenausbau widmete, integrierte ab 1919 einen sogenannten Atelierkurs in das Lehrprogramm. Hier arbeitete eine Gruppe von Studenten ein Semester lang gemeinsam an einem Thema, wobei jedem eine nach seinen Neigungen und Fähigkeiten ausgerichteten Aufgabe zufiel. Das Ergebnis war ein fertig durchdetailliertes Gebäude – in einer Arbeitsweise entstanden, die der Büropraxis entsprach und dadurch auf die Praxis vorbereiten sollte.

Im gleichen Jahr wie Billing erging an den jungen Architekten Friedrich Ostendorf (1871-1915) der Ruf als Professor zur Nachfolge für seinen Lehrer Schäfer nach Karlsruhe.

Der jungen Generation galt Ostendorf durch seine „Sechs Bücher vom Bauen“, die nichts geringeres als eine „Theorie des architektonischen Entwerfens“ zu sein beanspruchen, als Hoffnungsträger für einen allgemein gültigen, zeitlos klassischen und handwerklich geprägten Stil.

Wie an den meisten Technischen Hochschulen setzte sich in der Weimarer Republik die Moderne auch in Karlsruhe nur zaghaft durch. Mit dem Ostendorf-Schüler Hermann Alker (1885-1967), Erbauer des Karlsruher Universitäts-Stadions (1927-1930), vor allem aber mit dem 1930 berufenen Otto Ernst Schweizer (1890-1965), der sich ebenfalls im Bereich des Stadionbaus profilierte, war das Neue Bauen immerhin durch zwei Lehrer vertreten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bezog die Technische Hochschule Karlsruhe mit Egon Eiermann (1904-1970) eine klare Stellung zur Moderne und zugleich eine deutliche Gegenposition zur konservativ ausgerichteten Stuttgarter Schule.

Bereits der zweiten Generation der Moderne angehörig, hatte der Poelzig-Schüler Eiermann noch in den 1930er Jahren kompromisslose Bauten errichtet; Zu den berühmtesten Werken während seiner Karlsruher Zeit gehört der Wiederaufbau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin. Zweifelsohne muss Egon Eiermann als der einflussreichste Lehrer im 20. Jahrhundert an der Fakultät für Architektur der Karlsruher Universität bezeichnet werden.

 

Text: Annemarie Jaeggi
Architektur an der Universität Karlsruhe –
Fakultät für Architektur – Forschung und Lehre
, 1999
Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin
gekürzt 2010

Abbildungen:
Max Kaske und Maximilian Goes
"Öffentlichkeiten - 20.40. Orte und Potenziale"

Freier Stegreif, Wintersemester 2014/15
Fachgebiet Architekturtheorie
Prof. Georg Vrachliotis