Kleine Eingriffe, große Wirkung

Teilnehmer:innen des Seminars zum Thema Architektur-Journalismus haben Simon Joa, Vorsitzender der Kammergruppe Karlsruhe-Stadt der Architektenkammer Baden-Württemberg, interviewt.
Foto Simon JoaUlrich Coenen

Im Seminar „Städtebauliche Typologien – Werkstatt Architektur-Journalismus: Wir schreiben über Architektur“ beschäftigen sich Studierende an der Professur Stadtquartiersplanung mit Architekturjournalismus. Dozent ist der Redakteur und Bauhistoriker Ulrich Coenen.

Die 17 Seminarteilnehmer:innen recherchieren unter Anleitung und verfassen Beiträge über Architektur, Stadtplanung und Denkmalpflege. Dabei werden die journalistischen Darstellungsformen Interview, Architekturkritik und Fachbuchbesprechung geübt.

Die erste Aufgabe in diesem Sommersemester war ein Interview mit Simon Joa, Vorsitzender der Kammergruppe Karlsruhe-Stadt der Architektenkammer Baden-Württemberg. Joa ist Absolvent der Fakultät für Architektur und war als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Stadtquartiersplanung tätig.

Die Studierenden haben die Fragen an Simon Joa in einer Sitzung vorbereitet und in der nächsten Sitzung gemeinsam das Interview mit ihm geführt. Anschließend hat jeder ein Interview geschrieben und zwar mit sehr unterschiedlichen Themenschwerpunkten.

Hier sind drei Interviews mit den Schwerpunkten Stadtentwicklung Karlsruhes, Wohnen und den Wandel des Berufsbilds.

Finn Jäger
Zwischen Idealbild und Realität: Wie sich der Architektenberuf verändert
Interview lesen
Simon Joa, Vorsitzender der Architektenkammer Karlsruhe, spricht im Interview über den Wandel eines Berufsbilds zwischen Digitalisierung, Bürokratie und Marktverdrängung

Die Architektur steht unter wachsendem Druck: Neue Bauordnungen und gesellschaftliche Erwartungen machen aus dem einstigen Generalistenberuf eine komplexe Schnittstellenfunktion. Doch wie reagieren Architekt:innen selbst auf diese Veränderungen? Und welche Rolle spielt dabei die Architektenkammer? Im Gespräch mit Simon Joa, dem Vorsitzenden der Architektenkammer Karlsruhe-Stadt, wird deutlich: Der Beruf wandelt sich und die Kammer ist entschlossen, diesen Wandel mitzugestalten.
Herr Joa, wie nehmen Sie die aktuelle Situation des Architektenberufs wahr?
Joa: Der Berufsstand hat sich in den letzten zehn Jahren tatsächlich sehr gut entwickelt. Das hing natürlich auch mit der allgemeinen Lage in der Baubranche zusammen. Ich habe durchaus den Eindruck, dass das, was die Büros leisten konnten, insgesamt sehr auskömmlich war. Es wurde auch deutlich: Diejenigen, die sich auf neue Entwicklungen wie die Digitalisierung eingelassen haben, konnten in hohem Maße davon profitieren.
Wie unterscheidet sich die Entwicklung des Architektenberufs in Deutschland im Vergleich zu internationalen Märkten?
Joa: In Deutschland haben wir die Besonderheit, dass der Markt sehr kleinteilig ist. Es gibt viele Ein-Mann-, Zwei- oder Drei-Mann-Büros und auf der anderen Seite nur wenige große Büros, fast schon Konzerne. Viele sind mit ihrem Umfeld zufrieden, und insgesamt ist es nach wie vor ein gutes Arbeiten. Schwieriger geworden ist hingegen der Umgang mit der Bürokratie. Viele Kolleginnen und Kollegen hadern zunehmend damit und haben teilweise keine Lust mehr, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Auch in der Ausführung ist es deutlich komplizierter geworden. Früher hatte man als Architekt auf der Baustelle einen anderen Status, man hat Entscheidungen getroffen und Dinge festgelegt. Heute agieren viele ausführende Firmen fast schon wie kleine Rechtsanwaltskanzleien. Man sitzt viel mehr zwischen den Stühlen als früher. Und der Architekt hängt immer noch in der Gesamtschuldnerischen Haftung. Dies hat nichts mehr mit der Realität am Bau zu tun und muss geändert werden.
Wie erleben Sie dabei die Entwicklung in der Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen?
Joa: Das Idealbild des Architekten war einmal der Generalist, der alles im Blick hat. Heute gibt es deutlich mehr Fachdisziplinen, etwa Auditoren der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Früher saß man mit dem Statiker zu zweit am Tisch, dann kamen irgendwann Energieberater und Lichtplaner dazu. Heute sitzen bei größeren Projekten zehn, zwanzig Leute am Tisch. Man kann gar nicht mehr alles steuern, weil man viele Details selbst nicht mehr sofort verarbeiten kann. Es wird immer schwieriger, die Fäden zusammenzuhalten und manchmal ist das auch gar nicht mehr gewünscht. Das Berufsbild wandelt sich also.
Wie gehen Sie mir dieser Entwicklung um?
Joa: Man muss für sich selbst schauen, was man noch beitragen kann, wenn man sich ein Stück weit vom Generalisten entfernt. Ich will nicht sagen, dass man sich komplett davon lösen sollte, das wäre aus meiner Sicht der falsche Weg. Ich habe nach wie vor den Eindruck, dass Auftraggeber es sehr wertschätzen, wenn jemand über den Tellerrand schaut und das Gesamtbild versteht. Aber man muss natürlich auch den passenden Auftraggeber finden. Andere sagen: Der Architekt macht ein paar Pläne und das war’s. Dieser Haltung begegnet man leider immer häufiger. Diese Einstellung wird den Beruf abschaffen, deshalb müssen wir weiter zeigen was wir können.
Inwieweit kann die Architektenkammer auf solche Veränderungen im Berufsbild Einfluss nehmen?
Joa: Die Architektenkammer versucht durchaus, aktiv Einfluss zu nehmen. Es gibt beispielsweise interne Strategiegruppen, die sich mit übergeordneten Zukunftsthemen wie dem ‚Architekturbüro der Zukunft‘ oder ‚Büro 2.0‘ auseinandersetzen, also mit Fragen zur zukünftigen Ausrichtung und Organisation von Planungsbüros. Ziel ist es, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende strategische Ansätze zu erarbeiten. In der Praxis ist die Umsetzung solcher Ideen allerdings oft komplex und mit vielen auch bürokratischen Hürden verbunden.
Wo zeigen sich solche Herausforderungen konkret in der täglichen Praxis?
Joa: Ein Beispiel ist die Novellierung der Landesbauordnung. Dort wurde die sogenannte Bauvorlagenberechtigung auf die Gebäudeklasse 3 ausgeweitet. Bisher galt diese Regelung nur für kleinere Projekte und bestimmte Techniker ohne abgeschlossenes Architekturstudium, jetzt betrifft sie auch Projekte im Geschosswohnungsbau. Aus Sicht der Kammer ist das eine problematische Entwicklung und wir haben klar kommuniziert, warum diese Aufweichung nicht sinnvoll ist. Leider hat sich die Politik in diesem Fall dennoch anders entschieden. Das zeigt, dass der Dialog mit der Politik zwar stattfindet, allerdings nicht immer die gewünschte Wirkung entfaltet.
Welche Verantwortung trägt die Architektenkammer für die Entwicklung des Berufsstands?
Joa: Die Architektenkammer ist eine selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das bedeutet, wir alle tragen letztlich Mitverantwortung dafür, wie sich der Berufsstand künftig entwickelt. Die Frage ist also: Welche Spielräume haben wir noch? Es gibt inzwischen viele andere Akteure wie beispielsweise große Baukonzerne, die eigene, gut ausgestattete Planungsabteilungen unterhalten und mit ganz anderen Motivationen gezielt in unseren Markt drängen. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns als Berufsstand weiterentwickeln.
War das für Sie ein Anstoß, sich berufspolitisch zu engagieren?
Joa: Für mich persönlich war es immer ein Anliegen, an dieser Entwicklung aktiv mitzuwirken. Die Kammer als Möglichkeit, aktiv mitzugestalten, kam mir erst später in den Sinn. Bis etwa zum Jahr 2016 hatte ich mit der Architektenkammer praktisch keinerlei Berührungspunkte. Ich habe einmal im Jahr meinen Beitrag bezahlt, das war’s. In meinem damaligen Arbeitsumfeld in Darmstadt herrschte eine eher ablehnende Haltung, dort galt die Kammer beinahe als Feindbild. Umso spannender war für mich die Erfahrung, später selbst Einblicke in die Kammerarbeit zu gewinnen. Mein Bild hat sich dadurch grundlegend gewandelt. Heute sehe ich vieles sehr positiv. Natürlich gibt es auch Aspekte, bei denen man sich fragt, ob sie nicht etwas veraltet oder zu sehr von Verwaltungslogik geprägt sind. Aber insgesamt bin ich überzeugt, dass in der Kammer wichtige Arbeit für unseren Berufsstand geleistet wird und dass es sich lohnt, daran aktiv mitzuarbeiten.
 
Lea Großmann
Kleine Eingriffe, große Wirkung
Interview lesen
Der Architektenkammer-Vorsitzende Simon Joa spricht über Wohnraummangel, Neubauten und die Chancen des Bestands in Karlsruhe
Der Wohnraummangel stellt Städte in ganz Deutschland vor große Herausforderungen – auch Karlsruhe ist davon nicht ausgenommen. Ursachen, Lösungsansätze und städtebauliche Entwicklungen analysiert Simon Joa, Vorsitzender der Architektenkammer Karlsruhe-Stadt. Als Mitgründer des Büros joa • studio für architektur  prägt er seit vielen Jahren die Baukultur der Region maßgeblich mit. Im Interview spricht Simon Joa über strukturelle Defizite im Wohnungsbau, die Rolle der Stadtplanung und innovative Konzepte im Umgang mit begrenztem Raum. Seine Einschätzungen geben einen fundierten Einblick in aktuelle Entwicklungen und zukünftige Perspektiven des Wohnens in Karlsruhe.
Wie bewerten Sie die Entwicklung des Wohnungsbaus in Karlsruhe in den letzten zehn Jahren?
Joa: Der Wohnungsbau in Karlsruhe hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Corona-Pandemie markierte eine Zäsur, die den Wohnungsbau bundesweit beeinflusst hat. Durch den Krieg in der Ukraine wurden die Rahmenbedingungen zusätzlich verschärft. Vor dieser Zeit wurden viele ambitionierte Projekte angestoßen, doch das Ziel, bundesweit jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, wurde deutlich verfehlt – die Genehmigungen liegen derzeit bei etwa der Hälfte. Diese Zahl bezieht sich zudem auf erteilte Baugenehmigungen, nicht auf tatsächlich realisierte Bauvorhaben. Die reale Bilanz fällt also vermutlich noch drastischer aus.
Welche Strategie halten Sie aktuell für besonders wirkungsvoll, um dem Wohnungsmangel in Karlsruhe zu begegnen?
Joa: Der wichtigste Ansatz ist es derzeit, bestehende Potenziale zu identifizieren und konsequent zu nutzen – insbesondere im Gebäudebestand. Aufstockungen, Ergänzungen, Erweiterungen oder auch die Umstrukturierung bestehender Einheiten bieten enormes Potenzial. In unserem Büro stellen wir seit zwei bis drei Jahren eine deutlich gestiegene Nachfrage im Bereich Bestandsentwicklung fest. Leider kommen viele dieser Projekte aufgrund der angespannten Finanziellen Lage über Studien oder frühe Planungsphasen nicht hinaus. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs an Wohnfläche. Neue Wohntypologien können durch einfache bauliche Eingriffe geschaffen werden. Der klassische Zwei- bis Drei-Zimmer-Grundriss, der die letzten Jahrzehnte dominiert hat, muss dringend überdacht werden.
Gibt es in Karlsruhe konkrete Wohnungsbauprojekte, die Sie als beispielhaft bezeichnen würden?
Joa: Ein ambitioniertes Vorhaben ist der Wohnungsbauentwurf von schneider+schumacher in der Waldstadt. Dort sollen 134 neue Wohneinheiten in Holzmodulbauweise entstehen – aktuell ist das Projekt jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Lage auf Eis gelegt. Ein weiteres positives Beispiel ist das Projekt in Daxlanden von ASTOC, das sich derzeit in der Fertigstellung befindet. Hier entstehen auf rund 3,5 Hektar einer ehemaligen Sportanlage insgesamt 357 Wohneinheiten, die größtenteils öffentlich gefördert sind. Solche Projekte zeigen, dass in Karlsruhe trotz der schwierigen Lage weiterhin zukunftsfähiger Wohnraum geschaffen wird.
Wie beurteilen Sie die Rolle städtischer Wohnungsbaugesellschaften, insbesondere der Volkswohnung in Karlsruhe?
Joa: Die Volkswohnung leistet einen wichtigen Beitrag zur Wohnraumentwicklung in Karlsruhe. In den letzten Jahren habe ich eine zunehmende Professionalisierung wahrgenommen – es werden Wettbewerbsverfahren ausgelobt, Konkurrenz erzeugt und auch Mehrfachbeauftragungen vergeben. Das sorgt für Qualität und Innovation. Ein gutes Beispiel dafür ist das ich hervorheben möchte die Garagenaufstockung von Falk Schneemann in der Heilbronner Straße. Dort konnten zwölf neue Wohneinheiten geschaffen werden – ohne zusätzliche Bodenversiegelung. Natürlich ist das kein Projekt, das die Wohnungsnot grundsätzlich löst. Aber es zeigt exemplarisch, wie selbst kleine Eingriffe eine große Wirkung entfalten können.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial bei den Wohnungsbaugesellschaften?
Joa: Viele Gesellschaften fokussieren sich zunehmend auf die Verbesserung ihrer CO₂-Bilanzen. Um zu dekarbonisieren, werden DGNB-Auditoren beauftragt, die mithilfe von Excel-Tabellen bewerten, wie der Bestand energetisch dasteht. Daraus leiten sich Maßnahmen wie der Austausch der Heizung oder die Installation von PV-Anlagen ab. Das Problem dabei ist: Die Bilanzen sehen am Ende besser aus, aber es entsteht kein neuer Wohnraum. Diese Entwicklung halte ich für kritisch – sie verschiebt den Fokus von der tatsächlichen Bedarfsdeckung hin zur reinen Zahlenoptimierung bzgl. Der CO2 Emission.
Welche Auswirkungen hat der aktuelle Haushaltsstopp der Stadt Karlsruhe auf diese Entwicklung?
Joa: Der Haushaltsstopp bedeutet, dass nur noch dringend notwendige Ausgaben getätigt werden dürfen. Im Gegensatz dazu konnten Städte wie Stuttgart durch hohe Haushaltsüberschüsse ihre Wohnungsbaugesellschaften mit zusätzlichen Mitteln in Millionenhöhe ausstatten. So können dort Projekte in Planung gehalten und bei Verbesserung der wirtschaftlichen Lage schnell umgesetzt werden. Diese Flexibilität fehlt Karlsruhe derzeit – und das hat direkte Auswirkungen auf die Zukunft des Wohnungsbaus in der Stadt.
Wie schätzen Sie den Zielkonflikt zwischen nachhaltigem Bauen und wirtschaftlicher Realität ein?
Joa: Der Einstieg in das nachhaltige Bauen erfolgte vor rund 25 Jahren mit dem Energieeinsparungsgesetz. Damit wurden verschieden Maßnahmen nachweisplichtig und mit der Gesamtbetrachtung kam man einer Ökobilanzierung immer näher. Die Förderprogramme haben sich seither weiterentwickelt – inzwischen braucht es zwei- bis dreimal so viel Dämmung wie früher, um die Vorgaben zu erfüllen. Aus meiner Sicht ist die Grenze der sinnvollen Kosten-Nutzen-Effizienz längst überschritten. Ich bin auf keinen Fall gegen energetische Sanierung oder Klimaschutz. Aber wer die Rechenmodelle hinter den Vorgaben kennt und kritisch hinterfragt, erkennt schnell, dass viele Maßnahmen vor allem auf dem Papier wirken – nicht in der Realität. Die Klimawende sollte stärker in der Breite gedacht werden.
Leon Raithel
Stadtumbau als Chance: Karlsruhe sucht den roten Faden
Interview lesen
Der Karlsruher Architektenkammer-Vorsitzende Simon Joa fordert unkonventionelle Ideen zur Belebung des öffentlichen Raums
Wie verändert sich eine Stadt, wenn Großprojekte abgeschlossen, Einkaufsstraßen umgebaut und öffentliche Räume neu gedacht werden? Simon Joa, Vorsitzender der Architektenkammer Karlsruhe-Stadt, spricht im Interview über die Herausforderungen und Chancen der Karlsruher Innenstadt, die Folgen von Onlinehandel und Baustellen – und erklärt, warum gerade kleine Impulse große Wirkung entfalten können.
Die Innenstadt von Karlsruhe hat in den letzten Jahren viele Veränderungen durchgemacht. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für den Einzelhandel nach Pandemie und U-Bahn Bau?

Joa: Ein zentrales Thema ist sicherlich die Situation rund um den Einzelhandel, der stark unter der jahrelangen Baustellensituation gelitten hat – insbesondere im Zusammenhang mit dem Großbauprojekt, also dem Bau des Stadtbahn-Tunnels. Diese Baustellen dauerten fast ein Jahrzehnt an und haben mit ihren Einschränkungen den Einzelhändlern das Überleben schwer gemacht.
Gleichzeitig gibt es auch einen großen Wandel durch den Onlinehandel. Wie sehr spürt man das in Karlsruhe?
Joa: Die Verschiebung hin zum Onlinehandel ist ein strukturelles Problem, das Karlsruhe nicht allein trifft. Aber hier kommt erschwerend hinzu, dass sich auch die Aufenthaltsqualität durch Baustellen verschlechtert hatte. Die Stadt hat zwar begonnen, neue Strategien zu entwickeln – etwa im Bereich der Innenstadtentwicklung Ost –, aber ein wirklich roter Faden ist meines Erachtens noch nicht erkennbar.
Was wären aus Ihrer Sicht sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Innenstadt?
Joa: Ich denke, es geht viel um Aufenthaltsqualität. Die Kaiserstraße ist eine zentrale Achse der Stadt, mit Marktplatz und Pyramide als Fixpunkten. Jetzt, da die Oberfläche freigeräumt ist, sollte man diesen Raum bewusst nutzen. Ich merke selbst, wie ich mich noch daran gewöhnen muss, mitten über die Straße zu gehen, ohne Angst zu haben, überfahren zu werden. An diese neue Freiheit muss man sich erst gewöhnen.
Was kann die Stadt konkret für den Einzelhandel tun?
Joa: Die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt, vor allem weil viele Immobilien in privater Hand sind und die Mietpreise nicht von der Stadt festgelegt werden. Hinzu kommt, dass viele traditionsreiche Läden verschwunden sind und große Ketten nachrücken – das ist ein gesamtgesellschaftlicher Trend.
Gibt es auch innovative Ansätze, die Hoffnung machen?
Joa: Ja, ich fand das Konzept der Pop-up-Stores spannend. In anderen Städten – wie Stuttgart – hat man damit gute Erfahrungen gemacht. Junge Kreative bringen frische Ideen und beleben leerstehende Räume. Solche unkonventionellen Wege wären meiner Meinung nach ein erster Schritt. Auch kleine Interventionen im öffentlichen Raum könnten helfen, einfach um zu zeigen: „Hier passiert etwas Neues!“
Und wie sieht es mit den langfristigen Effekten des Stadtbahn-Tunnels aus?
Joa: Das Projekt war teuer und kontrovers diskutiert, aber ich denke, man kann es erst in einigen Jahrzehnten richtig bewerten. Was man jetzt schon sieht: Die Innenstadt ist durchlässiger geworden, neue Flächen werden genutzt, die vorher vernachlässigt waren. Es gibt auch Kritik, etwa die zu geringen Abstände der Haltestellen kann man kritsich sehen, oder die Kunst im öffentlichen Raum ohne eigenen Wettberweb. Aber im Großen und Ganzen ist das Projekt ein wichtiger Schritt gewesen.
Wie erleben Sie die Arbeit der Stadtverwaltung und vor allem des Stadtplanungsamtes im Prozess der Stadtentwicklung?
Joa: Es ist oft sehr bürokratisch. Wir haben das selbst erlebt bei der Vorbereitung auf die ArchitekturZeit in der Stadt. Genehmigungen für temporäre Bauten im öffentlichen Raum sind schwer zu bekommen. Hier sollten Prozesse entbürokratisiert werden und die Stadt insgesamt mutiger agieren.
Hat die Architektenkammer eigentlich einen direkten Einfluss auf die Stadtentwicklung?
Joa: Einen direkten Einfluss haben wir nicht – die Kammer ist ein berufsstädiges Organ. Allerdings wird der Vorstand von den Mitgliedern gewählt, was uns eine gewisse Legitimation verleiht. Über Arbeitskreise wie „Am Puls“ stehen wir in kontinuierlichem Austausch mit der Stadtpolitik. Wir bringen uns aktiv ein, etwa durch die Mitarbeit in Jurys, Gremien oder durch Positionspapiere zu aktuellen städtebaulichen und architektonischen Fragen. So gelingt es uns, auf die Stadtentwicklung Einfluss zu nehmen – wenn auch auf indirektem Weg.
Wie hat sich die Stadtentwicklung in Karlsruhe in den letzten Jahren insgesamt verändert, auch hinsichtlich des Wohnungsbaus?
Joa: Ich denke, man hat sich professionalisiert. Gerade im Wohnungsbau gab es viele Wettbewerbe und Verfahren wie Mehrfachbeauftragungen. Auch mit der Volkswohnung und den Genossenschaften sind spannende, innovative Projekte entstanden  – trotz schwieriger Rahmenbedingungen durch Corona und den Ukraine-Konflikt.
Die Umnutzung und Weiterentwicklung von Bestandsgebäuden zu Wohnraum zählt zu den drängendsten Themen unserer Zeit. Wie groß ist das Potenzial dafür in Karlsruhe?
Joa: Das Potenzial ist enorm. In unserem Büro arbeiten wir seit Jahren an Projekten wie Aufstockungen, Erweiterungen und Umstrukturierungen. Vor allem bei Gebäuden aus den 1960er-Jahren, die in Deutschland einen großen Teil des Bestands ausmachen und nun sanierungsbedürftig sind, lassen sich mit vergleichsweise kleinen Eingriffen zeitgemäße, hochwertige Wohnungen schaffen.
Eine abschließende Frage. Wenn Sie 10 Jahren in die Zukunft blicken, was wünschen Sie sich dann für Karlsruhe, was ist Ihre Vision?
Joa: Karlsruhe sollte sich lebendig und dynamisch weiterentwickeln – mit dem, was da ist, das Beste machen. Leerstände und Lücken bieten große Chancen und passen gut zum diesjährigen Motto am Tag der Architektur „Leerstand, Lücken, Potenzial“. Die Stadt soll jung bleiben, offen für Neues, ohne in einem musealen Charakter zu erstarren. Es gibt bereits viele kulturelle Angebote und innovative, international vernetzte Firmen, besonders im IT-Bereich. Die Grünräume in der Stadt und die Nähe zu Frankreich und Luxemburg sind klare Standortvorteile. Ziel ist eine Stadt, die sich ständig neu erfindet und mit frischen Ideen in die Zukunft blickt.
Zur Person
Simon Joa studierte Architektur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und gründete 2012 gemeinsam mit Stefanie Joa das Büro joa- studio für Architektur in Karlsruhe. Ab 2014 war er Mitarbeiter an der Professur Stadtquartiersplanung des KIT. 2022 wurde er Vorsitzender der Kammergruppe Karlsruhe-Stadt der Architektenkammer. 2024 wurde Joa in den Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) berufen.