RoofKIT in Wuppertal

RoofKITZooey Braun

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt sich 2022 erstmalig mit dem Projekt RoofKIT am Solar Decathlon Wettbewerb 2021/22 in Wuppertal, Deutschland. Der Beitrag wird vom 10. bis 26. Juni 2022 auf dem Solar Campus in Wuppertal ausgestellt. Tickets für die Ausstellung sind kostenfrei erhältlich unter: https://www.eventbrite.de/

RoofKIT

RoofKIT wurde als Aufstockung eines bestehenden Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert in der Altstadt konzipiert und zeigt eine Vision für das Bauwesen des 21. Jahrhunderts auf: sozial ausgleichend, energetisch erneuerbar und zirkulär nachhaltig.

Architektur und gesellschaftliche Verantwortung
Architektur hat in Zeiten des Klimawandels und der Ressourcenknappheit neben ihrem traditionellen Verständnis von Schönheit, Langlebigkeit und Funktionalität auch eine immer grösser werdende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das Projekt RoofKIT im Rahmen des Solar Decathlon-Wettbewerbs 2021/22 ist ein Leuchtturmprojekt, das die traditionelle und die zeitgenössische Sichtweise unserer Disziplin in Zeiten des Klimawandels, der sozialen Entfremdung und der Ressourcenknappheit als Entwurfsparameter versteht und verantwortungsbewusst behandelt. Wenn Architekt*innen, Ingenieur*innen, Wissenschaftler*innen, Designer*innen und Planer*innen die Verantwortung für unseren Planeten und die auf ihm lebenden zukünftigen Generationen übernehmen wollen, müssen wir im Einklang mit unseren existierenden natürlichen Kreisläufen entwerfen und den Akt des Bauens als integralen sozialen Ansatz verstehen. Dies erfordert einen Bewusstseinswechsel in der Art und Weise, wie wir unsere gebaute Umwelt verstehen und konstruieren: weg von linearen temporären Lösungen hin zu einem endlos zirkulären Ansatz der Schönheit, Langlebigkeit und Kreislaufgerechtigkeit. Wir müssen unsere unbewusste Abfallproduktion aufgeben und eine Ebene der Verantwortung erreichen, auf der Gebäude zu Produzenten erneuerbarer Energien und Materialbanken der Zukunft werden.

Das Einzigartige am Solar Decathlon-Wettbewerb ist, dass neben einem Gesamtentwurf für ein größeres architektonisches Projekt ein charakteristischer Gebäudeteil als Demonstrationsobjekt in Originalgröße im Maßstab 1:1 gebaut und begutachtet wird. Seit 2020 haben mehr als 100 Studierende des KIT in verschiedenen Fakultäten und unter der Leitung der Lehrstühle für Nachhaltiges Bauen (Prof. Dirk E. Hebel) und Gebäudetechnik (Prof. Andreas Wagner) an dem Projekt gearbeitet, was im Mai und Juni 2022 in Wuppertal in den Bau der sogenannten „House Demonstration Unit“ mündete.

Shared Space in modularer Bauweise
Der Grundriss der Demonstrationseinheit ist nach dem Prinzip des „Shared-Space“ entworfen: Die einzelnen, modularen Holz-Wohneinheiten des Gesamtprojekts sind um ein öffentliches Atrium angeordnet. Jeder einzelne Raum, so auch unsere Demonstrationseinheit, ist um ein zentrales Kernelement angeordnet, in dem Küche, Bad, die gesamte technische Infrastruktur und Stauraum untergebracht sind. Neben der sehr konzentrierten Nutzung der Infrastruktur macht diese Idee die Konstruktion von vorgefertigten Holzmodulen sehr effektiv: nur eines der vier in Wuppertal gezeigten und aufgebauten Module enthält die größere Infrastrukturelemente, während die anderen nur über Stecksysteme verbunden sind. Die Vorfertigung garantiert hierbei nicht nur ein sozial und sicherheitstechnisch vorteilhaftes Arbeiten für alle Ausführenden, es garantiert zudem auch eine hohe Präzision im Konstruktionsprozess.

100% kreislauffähig
Konzipiert als vorgefertigtes Modulsystem in 100% kreisförmiger Bauweise, beweist die Einheit schon heute, dass wir mit aktueller Technologie und Entwurfskapazitäten in der Lage sind, die Anforderungen des European Green Deal zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu erfüllen. Es wurden keine Klebstoffe, keine Imprägnierungen oder Farben, keine Schäume oder Nassabdichtungen verwendet, so dass die Kreislauffähigkeit des Gebäudes und seiner Materialien zu 100% gewährleistet bleibt. Außerdem wurden für die Konstruktion nur Monomaterialien verwendet, das heißt, es sind keine Verbundstoffe oder Materialmischungen zu sehen. RoofKIT will aber nicht nur zeigen, was in Zukunft möglich ist: Viele Bauteile und Materialien wurden bereits aus der städtischen Mine entnommen und im zweiten, dritten oder gar vierten Kreislauf verwendet: Holz aus alten Scheunen im Schwarzwald, die Eingangstür aus einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, Fenster aus einem abgerissenen Gebäude in Basel, Bad- und Küchenarmaturen aus Messe-Rückbauten. Diese Strategie der Wiederverwendung ist sicher der einfachste und direkteste Weg, eine kreisförmige Bauweise zu etablieren. Aber RoofKIT enthält auch Materialien, die rekonfiguriert wurden, d.h. das Material wurde recycelt, während die Form des ehemaligen Produkts verändert wurde: Das Dach von RoofKIT besteht aus 100% recyceltem Kupfermaterial, die Küchen- und Badezimmerabdeckungen sind aus alten Joghurtbechern hergestellt, die Toilette und die Dusche sind mit Glaskeramik verkleidet, die aus zerbrochenem Glas hergestellt wurde, der Spiegel ist aus hochglanzpoliertem Stahl, wodurch Metall-Glas-Verbindungen wie bei herkömmlichen Spiegeln vermieden werden, der Eingangsbereich ist mit Steinen aus wiedergewonnenem Bauschutt gepflastert.

Baustoffe
Neben diesen technischen Kreislaufmaterialien werden vor allem auch natürliche biologische Baustoffe verwendet: alle Wände sind mit Lehmputzen basierend auf einer Lehmplatte versehen um die Luftfeuchtigkeit und damit die Luftqualität innerhalb der Einheit zu kontrollieren, der Kern der Einheit und die Decke sind mit einem 100 % natürlichen Filz verkleidet, sämtliches zum Einsatz kommendes Dämmmaterial besteht zu 100 % aus getrocknetem Seegras ohne weitere Behandlung oder Zusätze. Plattenwerkstoffe und Lampenschirme aus Myzelium, dem Wurzelwerk von Pilzen, kommen zur Anwendung, sogar lebende Pilzorganismen werden als Witterungsschutz an der Unterkonstruktion der Außenfassade verwendet. Das für die Konstruktion verwendete Holz ist leimfrei und unbehandelt. Zudem wurde die Konstruktion so konzipiert, dass jegliche synthetische Holzverbundstoffmaterialien (Kleber und Leime) vermieden werden, und es kamen digitale Fertigungsverfahren für reversible Verbindungssysteme zur Anwendung. Um thermische Masse innerhalb des Holzleichtbaus zu gewährleisten, wurden für das Verlegen der Fußbodenheizung luftgetrocknete Lehmsteine und -platten verwendet. Auch hier bestimmte der Aspekt der Kreislauffähigkeit den Entwurf, ohne funktionale Einschränkungen machen zu müssen. Die biologischen Materialien, die den Großteil der Konstruktion im statischen wie auch nicht statischen Bereich ausmachen, nutzen den ältesten Kreislauf unseres Planeten: den des Kohlenstoffs. Unsere einzigartige Flora ist in der Lage, mit Hilfe der Sonnenenergie (welche im einzig offenen System unserer Erde in Form von Strahlung unseren Planeten mit Energie versorgt) CO2 in Zellulose und Sauerstoff umzuwandeln. Diesen perfekten Kreislauf, der für uns Menschen, Tiere und Pilze lebensnotwendig ist, gilt es zu verstehen und zu schützen und unser Handeln und unsere gebaute Umwelt als Teil diesen zu verstehen, zu unterstützen und nicht zu zerstören.

Energiekonzept
Hieraus wird ersichtlich, dass ein zu etablierendes Kreislaufsystem im Bauwesen nur dann Sinn macht, wenn es mit erneuerbaren Energiequellen betrieben wird. Da es sich beim RoofKIT Projekt um eine Aufstockung mit hohem Energieeffizienzstandard handelt, wird der gesamte Energiebedarf (inklusive Geräte und E-Mobilität) durch Solaranlagen auf der Gebäudehülle gedeckt. Die Energieautarkie wurde bereits durch frühere Projekte nachgewiesen, z.B. durch Solar Decathlon Beiträge in früheren Wettbewerben. Die neue Herausforderung hier ist die Deckung des Gesamtenergiebedarfs sowohl für die neue Wohneinheit als auch für das bestehende Gebäude, da das Verhältnis zwischen der verfügbaren Fläche für Solarpaneele mit dem höchsten Ertrag – dem Dach –  und der Nettogeschossfläche (die den Energiebedarf bestimmt) mit der Anzahl der Stockwerke abnimmt. Das bedeutet, dass auch das bestehende Gebäude eine erhebliche energetische Aufrüstung benötigt, für die wir ebenfalls einen kreislauffähigen Ansatz vorschlagen. Für die Solarnutzung werden dachintegrierte PVT-Kollektoren verwendet, die gleichzeitig Strom und Wärme liefern, wobei letztere als Quelle für eine Wärmepumpe dient, die ein Fußbodenheizungssystem und einen Warmwasserspeicher speist. Die Oberfläche der PV-Module wird mit einer speziellen Beschichtungstechnologie eingefärbt, damit sie nahezu verlustfrei optisch mit der Kupferbedachung verschmilzt. Dieser wichtige Schritt ist notwendig, um Solarmodule vollständig in das Entwurfskonzept zukünftiger Gebäude wie auch denkmalgeschützter Objekte zu integrieren. Ein intelligentes Energiemanagementsystem maximiert den Eigenverbrauch von Solarenergie und die Netzdienlichkeit des Gebäudes durch die Optimierung des Solarertrags, des Strombedarfs und des Ladens/Entladens der Batterien (Gebäude und E-Bikes) sowie eines thermischen Pufferspeichers.

Raumklima
Um in den Sommermonaten ein angenehmes Raumklima zu gewährleisten, wurde ein passives Kühlkonzept realisiert, das eine effektive Beschattung, thermische Masse (realisiert mit Lehmbaustoff, wie oben erwähnt) sowie eine Nachtlüftung zur Entladung der thermischen Masse beinhaltet. Auch hier ist es das Energiemanagementsystem, das den Komfort optimiert, indem es die Lamellenstoren an der Süd- und Westfassade (die Ostfassade ist ohne Öffnungen, um das Gesamtkonzept zu verdeutlichen) sowie die Oberlichter im Dach zur Aktivierung der natürlichen Belüftung steuert. Das System bezieht auch die Bewohner in den Entscheidungsprozess ein, da sie über eine installierte Schnittstelle Informationen darüber erhalten, wann sie die Fassadenfenster öffnen sollen, um die Wirksamkeit der Nachtlüftung zu verbessern. Dieses Thema der Suffizienz (dem Weglassen aufwendiger Technikinfrastruktur) wird auch durch dezentrale, in die Fassade eingebaute Pendellüfter ohne Luftkanäle sowie Lichtschalter ohne Kabel demonstriert. Durch Drücken des Schalters wird, ähnlich wie bei einem Fahrraddynamo, elektrische Energie erzeugt, die den Leuchtkörper mittels eines Funksignals an- oder ausschaltet. Das gesamte Beleuchtungskonzept folgt der gleichen Idee: Vermeidung unnötiger Leuchten, wo immer es möglich ist, und Verwendung flexibler, von Hand getragener kabelloser Elemente, um nur die Bereiche zu beleuchten, die gewünscht werden. Darüber hinaus liefert ein Beleuchtungssystem um den Kern Licht mit einer immer an die Tageszeit angepassten Lichtfarbe.

Die Einheit sitzt auf einer Gerüstkonstruktion, um ihren Charakter als aufstockende Gestaltungsstrategie zu demonstrieren. Auch hier führte das Prinzip eines bewährten, temporär genutzten Systems zu der Entscheidung, da alle Elemente nach dem Wettbewerb ohne Qualitätsverlust in der gleichen Weise wie zuvor genutzt werden können. RoofKIT hat das Gerüst wie auch alle anderen Bauteile und Materialien nur für eine bestimmte Zeitspanne ausgeliehen. Da auf dem Wettbewerbsgelände keine traditionellen Fundamente erlaubt waren, wurden Gabionen verwendet, um möglichen horizontalen Lasten der Konstruktion entgegenzuwirken, die wiederum nach dem Wettbewerb vollständig an einen lokalen Anbieter zurückgehen werden.

RoofKIT ist schon heute ein Leuchtturm-Projekt für ein zukünftige zirkuläre Baukultur und Industrie.

Projektbeteiligte:

Studentisches Kernteam KIT Karlsruhe: Patrick Bundschuh, Stefanie Christl, Luca Diefenbacher, Florian D’Ornano, Jonas Ernst, Dominic Faltien, Nadine Georgi, Aaron Harter, Johannes Hasselmann, Louis Hertenstein, Michael Hosch, Martin Kautzsch, Jennifer Keßler, Nicolas Klemm, Katharina Knoop, Sebastian Kreiter, Anne Lienhard, Michelle Montnacher, Fabian Moser, Friederike Motzkus, Jana Naeve, Saskia Nehr, Julian Raupp, Alexander Resch, Nicolas Salbach, Julian Schmidgruber, Natascha Steiner, Niels Striby, Dennis Sugg, Moritz Tanner, Sven Teichmann, Benjamin Weber, Vincent Witt, Immanuel Zeh

Projektleitung: Regina Gebauer (Architektur) und Nicolás Carbonare (Gebäudetechnologie)

Architektur und Konstruktion: Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe, Professur Nachhaltiges Bauen, Prof. Dirk E. Hebel, Regina Gebauer, Sandra Böhm, Katharina Blümke, Elena Boerman, Hanna Hoss, Philipp Jager, Daniel Lenz, Manuel Rausch, Daniela Schneider, Alireza Javadian, Nazain Saeidi, Elke Siedentopp mit Michael Hosch, Benjamin Weber, Martin Kautzsch, Julian Raupp

Gebäudetechnologie: Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe, Professur Bauphysik und Technischer Ausbau, Prof. Andreas Wagner, Nicolás Carbonare, Isabel Mino Rodriguez mit Martin Kautzsch (Partner: Klaus Rohlffs, ip5 Karlsruhe; Prof. Jens Pfafferott, Fachhochschule Offenburg; Martin Wortmann-Vierthaler, Heinrich-Meidinger-Berufsschule, Karlsruhe, David Wölfle, FZI Forschungszentrum Informatik)

Tragwerksplanung Gebäude: 2hs Architekten und Ingenieur, Prof. Karsten Schlesier HCU Hamburg mit Johannes Hasselmann and Jonas Benjamin Ernst

Tragwerksplanung Zirkulation, Sicherheit und Fundamentation: Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe, Professur Tragwerksplanung und Konstruktives Entwerfen, Prof. Riccardo La Magna, David Andersson

Tragwerksplanung Gerüste: DOKA, Alexandra Sell und Markus Wientzek
Licht Design: Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe, Professur Bauphysik und Technischer Ausbau, Prof. Andreas Wagner, Luciana Alanis mit Erik Hofmann and Maikel Hollstein

Urban Mobility: Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe, Professur Stadt und Quartier, Prof. Markus Neppl, Peter Zeile mit Nicolas Salbach and Daniel Lenz

Realisierbarkeit & Bezahlbarkeit, Lebenszyklusanalysen: Fakultät für Wirtschafswissenschaften, KIT Karlsruhe, Professur Ökonomie und Ökologie des Wohnbaus, Prof. Thomas Lützkendorf, Daniel Rochlitzer mit Regina Gebauer und Julian Schmidgruber

Corporate Design and Kommunikation: Philip Brücher, Dominic Faltien, Nadine Georgi, Lukas Großmann, Jennifer Keßler, Katharina Knoop, Michelle Montnacher, Saskia Nehr, Sanda Sandic, Natascha Steiner, Katharina Blümke, Daniel Lenz, Manuel Rausch

Materialbibliothek: Elena Boerman und Sandra Böhm mit Anna-Lena Kneip

Fabrikation: Kaufmann Zimmerei und Tischlerei, Reuthe, Bregenzerwald, Österreich, Matthias Kaufmann, Mario Meusburger mit KIT Studierenden

Unterstützt durch: KIT Karlsruhe, Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Holzbauoffensive Baden-Württemberg, Energy Endeavour Foundation

Sponsoring Partners:

 

Sehen Sie sich das Video vom Aufbau des Demonstrators an:
https://vimeo.com/717822815