Betonpoesie oder ein Baukulturproblem?

Vier Architekturkritiken aus dem Seminar „Wir schreiben über Architektur“

Im Seminar „Städtebauliche Typologien – Werkstatt Architektur-Journalismus: Wir schreiben über Architektur“ beschäftigen sich Studierende an der Professur Stadtquartiersplanung mit Architekturjournalismus. Dozent ist der Redakteur und Bauhistoriker Ulrich Coenen.

Die 17 Seminarteilnehmer:innen recherchieren unter Anleitung und verfassen Beiträge über Architektur, Stadtplanung und Denkmalpflege. Dabei werden die journalistischen Darstellungsformen Interview, Architekturkritik und Fachbuchbesprechung geübt.

Eine der Aufgaben bestand darin, eine Architekturkritik zu einem Gebäude in Karlsruhe oder Umgebung zu verfassen. Dabei entstanden Kritiken zur neuen Verwaltungszentrale des Bauunternehmens Weisenburger in Karlsruhe von Tadao Ando, zum Stadtbaustein in Ettlingen von baurmann.dürr Architekten sowie zur Neugestaltung des Jazzclubs/Kinemathek in Karlsruhe.

Vier Architekturkritiken sind hier zu lesen.

Verwaltungszentrale des Bauunternehmens Weisenburger in Karlsruhe von Tadao Ando

Verwaltungszentrale Weisenburger
Verwaltungszentrale Weisenburger
Luna Baumgärtner
Ein Bau, der schweigt und dennoch viel sagt
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Architekturkritik des Weisenburger-Gebäudes von Tadao Ando in Karlsruhe
Wenn ein Architekt, der für meditative Tempel, lichtdurchflutete Räume und museale Bauten bekannt ist, plötzlich ein Verwaltungsgebäude in Karlsruhe entwirft, wird die Architekturszene hellhörig. Was hat Tadao Ando, der Poet des Sichtbetons, in diese Stadt geführt? Und wie lässt sich seine stille, japanische Architekturphilosophie in ein Bürogebäude übersetzen? Die Antwort liegt in einem Gebäude, das nicht laut sein will und gerade deshalb viel zu erzählen hat.
Der neue Hauptsitz der Weisenburger-Gruppe, 2021 fertiggestellt, ist Andos erstes urbanes Projekt in Deutschland. Wer sich dem Gebäude nähert, begegnet einem Bau, der sich nicht aufdrängt und dennoch präsent ist. Es handelt sich um ein siebengeschossiges Bürogebäude, flankiert von niedrigeren Seitenflügeln. Als Zeichen der Rücksichtnahme auf die angrenzende Wohnbebauung verringert sich die Gebäudehöhe an der Nordseite um ein Geschoss. Ein trapezförmiger Portikus markiert den Haupteingang im Westflügel. Entstanden ist ein Ensemble aus unterschiedlich hohen Bauvolumen, das sich zu einem Innenhof gruppiert und harmonisch auf die heterogene Umgebung reagiert.
Trotz seiner klaren Geometrie wirkt das Gebäude nicht dominant, sondern ruhig und zurückhaltend. Es reiht sich ein in eine Umgebung, die selbst aus architektonischen Solitären besteht - ein Gebäude neben dem anderen, ohne dass ein übergeordnetes städtebauliches Narrativ erkennbar wäre. Inmitten dieser lauten Nachbarschaft verhält sich Andos Bau fast bescheiden. Er ignoriert den Genius loci nicht, sondern antwortet auf ihn in einer leisen, poetischen Sprache.
Diese Haltung zeigt sich auch in der Gestaltung der Fassaden. Die Kombination aus Sichtbeton und Glas trägt unverkennbar Andos Handschrift: klar strukturiert, geometrisch und materialkonsequent. Jede der vier Fassaden ist unterschiedlich gestaltet und reagiert individuell auf den städtischen Kontext. Die Kombination von geschlossenen und transparenten Flächen verleiht dem Gebäude Tiefe, Leichtigkeit und Rhythmus. Es besteht eine subtile Balance zwischen Massivität und Durchlässigkeit.
Bekannt für reduzierte Formen, Sichtbeton in Perfektion und eine Lichtführung, die Raum zur Erfahrung macht, bringt Ando seine architektonische Handschrift auch hier ein. Die Gestaltung weckt Erinnerungen an frühere Bauten vom Konferenzpavillon auf dem Vitra Campus bis hin zum Chichu Art Museum. Dennoch wurde das Bürogebäude an entscheidenden Stellen lokal und funktional angepasst. Während Fenster in Japan meist festverglast sind, ist das Lüften in Deutschland essenziell. Jeder zweite Fassadenflügel lässt sich nun 10 cm weit öffnen – genug, um den Sicherheitsvorschriften zu genügen und das homogene Fassadenbild nicht zu stören.
Insbesondere im Erdgeschoss zeigt sich Andos Detailverliebtheit. Die Bodenrippen verlaufen exakt bündig mit der Pfosten-Riegel-Fassade, als wolle man die Energie von außen ungebrochen in den Raum leiten. Auch das Motiv der Schalung ist kein reines Konstruktionsdetail, sondern eine ästhetische Konstante. Die Liebe zum Detail wird auch bei der Planungszeit für die Schalung von 800 Manntagen deutlich. Ein beinahe absurdes Maß an Präzision, das sich in exakt gesetzten Fugen und der fast fugenlosen Einheit von Wand und Decke widerspiegelt. Der Beton sollte nicht steril wirken. Kleine Unregelmäßigkeiten verleihen ihm ein lebendiges Erscheinungsbild und Charakter. Es ist somit kein Fehler, sondern Absicht.
Dieser Gestaltungswille setzt sich im Inneren konsequent fort. Lichtdurchflutete Erschließungsräume, ein elegant integrierter Aufzug und reduzierte Fensterprofile in den Büros sprechen von einer Architektur, die technische Anforderungen in ästhetische Konzepte übersetzt. Wo Offenheit nicht realisierbar war, etwa in Seminarräumen, sorgen Oberlichter für vertikales Licht – ein Kompromiss zwischen Andos Philosophie und funktionalen Anforderungen. Auch das Motiv der Treppe ist präsent, nicht nur als Erschließungselement, sondern als gesellschaftlicher Raum im Innenhof, der Austausch und Bewegung ermöglicht. Die Skylobby auf dem Dach greift Andos Idee des nutzbaren Dachs auf. Die Dachterrasse ist kein Showroom, sondern ein Raum, der den Mitarbeitenden vorbehalten ist.
Trotz aller Konsequenz bleibt der Bau nicht frei von Widersprüchen. Der massive Einsatz von Beton – vor allem aus ästhetischen Gründen – widerspricht dem Anspruch an Nachhaltigkeit. Ein ästhetisches Ideal trifft hier auf eine ökologische Realität, die sich nicht einfach ausblenden lässt. Es bleibt die Frage, wie zukunftsfähig eine Architektursprache ist, die auf Materialintensität und Monumentalität setzt. Auch gestalterisch zeigen sich Spannungen: Der ursprünglich öffentliche Innenhof wurde geschlossen – aus Sorge vor unerwünschter Nutzung. Dies steht im Widerspruch zu Andos Intention, offene und einladende Räume zu schaffen. Ein nachvollziehbarer Schritt, aber ein Verlust an Offenheit.
Das Weisenburger-Gebäude ist weit mehr als ein funktionales Bürogebäude. Es ist ein Beispiel dafür, wie sich architektonische Prinzipien und lokale Anforderungen auf anspruchsvolle Weise miteinander verbinden lassen. Tadao Ando zeigt, dass selbst eine klare, kompromisslose Haltung an neue Kontexte angepasst werden kann, ohne an Integrität zu verlieren.
Es ist ein Werk entstanden, das nicht nur Andos Lebenswerk bereichert, sondern auch der Karlsruher Stadtlandschaft einen stillen, aber bedeutenden Akzent hinzufügt.: Ein Solitär – doch einer, der stärker auf seine Umgebung reagiert als viele seiner Nachbarn. Während ein architektonischer Solitär dem nächsten folgt, gelingt Ando ein seltenes Kunststück: Zurückhaltung als architektonische Stärke. Und vielleicht liegt genau darin seine größte Qualität.
 
 
 
Selina Hofstetter
Betonpoesie oder ein Baukulturproblem?
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Tadao Andos Weisenburger-Zentrale in Karlsruhe: Eine Architekturkritik
Wer die Ludwig-Erhard-Allee entlanggeht – eine Achse, die seit Jahrzehnten durch Verkehr, Nachkriegsmoderne und fragmentierte Bebauung geprägt ist –, dem bietet sich seit der Fertigstellung im Jahr 2020 ein Anblick, der an eine japanische Zen-Meditation in Sichtbeton erinnert. Die neue weisenburger-Unternehmenszentrale, entworfen von keinem Geringeren als Tadao Ando, erhebt sich als Block aus Beton und Glas. In diesem heterogenen städtebaulichen Kontext wirkt das Gebäude wie ein einsamer Monolith: selbstbewusst, autonom, in sich gekehrt.
Der Bau entzieht sich bewusst jedem Dialog mit seiner Umgebung. Es gibt keine Anknüpfung an die Fassadenrhythmen oder Materialien der Umgebung.
Auf welchen Kontext sollte sich Tadao Ando aber auch beziehen? Die umliegenden Gebäude sind genauso autonome Strukturen wie Andos Bau. Ein Ansatz für ein Ensemble ist hier nicht zu erkennen. Tadao Ando baut hier, als wäre die Stadt eine leere Leinwand – typisch für seine Herangehensweise, die stark von der Idee der introvertierten Architektur geprägt ist.
Die weisenburger-Zentrale steht in klarer Kontinuität zu Tadao Andos Stil. Seit den 1970er-Jahren verfolgt der Architekt eine stringente architektonische Sprache, geprägt von Sichtbeton, geometrischer Klarheit und dem Dialog zwischen Licht, Raum und Stille. Das Spiel mit natürlichen Lichtquellen, die geschlossenen Fassaden, die sorgfältige Proportionierung des Volumens – all dies trägt seine unverwechselbare Handschrift. Dennoch markiert das Projekt in Karlsruhe auch eine kleine Verschiebung: Während viele seiner früheren Werke museal oder sakral aufgeladen sind, bewegt er sich hier im Kontext eines privatwirtschaftlichen Unternehmens – was für einen Ando doch eher selten ist. Dass sich seine Sprache auch in einem solchen funktionalen Rahmen behauptet, spricht für ihre universelle Gültigkeit. Ein Ando bleibt ein Ando – selbst in Karlsruhe.
Was auf den ersten Blick wie ein architektonisches Geschenk an die Stadt wirkt, könnte sich bei näherem Hinsehen als provokantes Statement entpuppen – weniger architektonisch als kulturpolitisch: Warum wurde für diesen prestigeträchtigen Bau in Baden ausgerechnet ein internationaler Stararchitekt verpflichtet, anstatt einem lokalen Büro den Zuschlag zu geben?
Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten – und sie ist nicht frei von Risiken. Schnell steht der Verdacht im Raum, es handle sich um nationalistische Rückzugsforderungen, gar um eine subtile Form von Deutschtümelei. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die Diskussion ist legitim, denn sie berührt ein zentrales Spannungsfeld unserer Zeit: das Verhältnis von lokalem Selbstverständnis zu globaler kultureller Vernetzung.
Die Berufung Andos, zweifellos ein Meister seines Fachs, ist ein Trend, der sich in Teilen durch die Bauwelt zieht und einen klaren Vorwurf mit sich bringt: Die internationale „Stararchitektur“ verdrängt zunehmend die lokale Handschrift. Auch hier wurde selbst der Kauf des Grundstücks für den weisenburger-Bau einzig und allein durch die Anwesenheit des Stararchitekten Tadao Ando um ein Vielfaches vereinfacht. Man fragt sich, auch in Hinblick auf die verwaltende Instanz, woher dieser Drang nach Aushängeschildern wie diesem kommt. „Stararchitektur“ statt Baukultur, Branding statt Kontext.
Dass ein bedeutender Neubau in einer deutschen Stadt – Sitz eines großen mittelständischen Bauunternehmens noch dazu – einem ausländischen Entwurfsarchitekten übertragen wird, könnte ein deutliches Signal senden. Und das lautet: Die deutsche Architektur ist offenbar nicht gut genug. Zumindest nicht für einen Bau wie diesen.
Dabei ist Tadao Andos Architektur alles andere als eine Provokation an sich. Seine Architektur verzichtet auf Übertreibung, Ornamente und Farben. Doch scheint auch gerade diese Reduktion im Bau wie eine stille Provokation in sich. Der Ando-Bau wirkt durch die kontrastvolle Reduktion zu seinem Kontext wie ein Tempel der Ruhe und Gelassenheit im Vergleich zur doch etwas hektischeren und lauteren Karlsruher Ludwig-Erhard-Allee und den monumental auffälligen Einzelbauten in seiner Umgebung.
Gleichzeitig kann man Andos Entwurf zum Gebäude selbst kaum Mängel vorwerfen. Der Bau ist durchdacht, subtil, technisch und atmosphärisch spannend gelöst und wirkt in sich wie ein Gesamtkunstwerk. Es macht Spaß, das Gebäude zu betrachten. Die Details der Glasfassade bis hin zu den Schalungsdetails des Betons sind ein intelligentes Zusammenspiel aus Entwurf und Ausführung auf höchstem Niveau. Auch ist es bewundernswert, dass in einer – im internationalen Kontext doch kleineren – Großstadt wie Karlsruhe ein Bau des Architekten Tadao Ando steht. Der Bau ist eine Inspiration für die internationale Architektur und ihre Vielfalt.
Dass ein mittelständisches Unternehmen wie weisenburger sich einen Architekten wie Tadao Ando leisten kann, ist ungewöhnlich. Man kann dies als mutigen Schritt in Richtung globale Welt interpretieren – oder fast schon als elitären Luxus. Denn die Realität für viele deutsche Architekturbüros sieht anders aus. Und während internationale Stars millionenschwere Verträge erhalten, für welche – wie in diesem Fall – der Firmenchef extra nach Osaka fliegt, kämpfen lokale Büros um Aufträge in der Provinz. Diese schwierige Situation ist nicht nur wirtschaftlich und nachhaltig problematisch – sie verzerrt auch das Vertrauensgefühl in eine gerechte, integrative Baukultur. Es geht hier nicht um „deutsch = besser“, sondern um gerechte Teilhabe und kulturelle Vielfalt. Und es wirft die Frage auf, welchen Stellenwert lokale Architektur eigentlich noch hat.
Natürlich hat jeder Bauherr das Recht, sich aus privaten Gründen oder Wünschen jeden beliebigen Architekten seines Vertrauens – ob groß oder klein, lokal oder international, bekannt oder unbekannt – mit ins Boot zu holen. Es stellt sich hier die Frage, ob ein großer lokaler Architekturkonzern angemessener wäre als ein internationales Büro – ganz unabhängig vom Bekanntheitsgrad. Außerdem bringen internationale Büros oft eine gewisse Sichtbarkeit und einen Grad an Förderzugang für globale Vernetzungen in der Architektur mit sich.
Doch gerade bei Projekten mit öffentlicher Wirkung – baulich wie symbolisch – ist es legitim, kritisch nach der kulturellen Botschaft zu fragen, die mit solchen Entscheidungen transportiert wird. Denn Architektur ist nicht neutral. Sie ist immer auch ein Statement – ob bewusst oder nicht.
Es kann ganz klar angemerkt werden, dass der Ando-Bau ein architektonisches Meisterwerk ist. Weniger war auch nicht von Tadao Ando zu erwarten. Der Bau zeigt, was möglich ist, wenn Entwurf und Ausführung auf höchstem Niveau zusammenarbeiten.
Jedoch entstehen gesellschaftlich, wirtschaftlich sowie politisch einige Fragen. Die große Sorge ist die Entfremdung von lokaler Baukultur zugunsten internationaler Markenarchitektur. Die deutsche Architektur muss hier klar über ihre Rolle und Identität nachdenken – und über die Frage, wie wir Raum schaffen für beides: internationale Inspiration und lokale Identifikation.
 
 

 

Stadtbaustein in Ettlingen von baurmann.dürr Architekten, Karlsruhe

Sparkasse am Erwin-Vetter-Platz in Ettlingen
Sparkasse am Erwin-Vetter-Platz in Ettlingen
Lea Großmann
Meisterwerk des Bauens im Bestand
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Sechs Häuser, ein Herzschlag. Wie der Stadtbaustein Ettlingen Alt und Neu nahezu unsichtbar vereint.
Mit dem „Stadtbaustein Ettlingen“ ist dem Karlsruher Architekturbüro baurmann.dürr ein bemerkenswertes Werk gelungen, das in vielfacher Hinsicht als Referenzprojekt für den Umgang mit historischer Bausubstanz gelten kann. Es ist ein Projekt, das sich nicht laut in den Stadtraum drängt, sondern sich mit feinem Gespür einfügt und dabei dennoch neue Maßstäbe setzt. Die Verleihung der Hugo-Häring-Auszeichnung des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) im Jahr 2023 ist nicht nur verdient, sie ist folgerichtig.
Ettlingens Altstadt ist ein gewachsenes städtebauliches Gefüge, das geprägt ist von Jahrhunderten Baugeschichte – vom Barock über die Gründerzeit bis in die Postmoderne. Mitten in diesem fein gewebten Textil der Stadtstruktur liegt das Areal des „Stadtbausteins“. Sechs Gebäude, die zuvor eher zufällig nebeneinander existierten, wurden von baurmann.dürr zu einer inneren Einheit verwoben, ohne den historischen Charakter der Einzelbauten zu verlieren. Das ist vielleicht die größte Qualität des Projekts: Die innere Integration bei gleichzeitigem Respekt gegenüber der äußeren Vielfalt.
Die Ausgangslage war alles andere als ideal. Ein vorhergehender Entwurf hatte das Potenzial des Ortes weit verfehlt. Mit einer horizontal betonten Glasfassade und einer Materialität, die dem Ort fremd blieb, stand das damalige Konzept der Sparkassenfiliale aus den 1980er Jahren im eklatanten Widerspruch zur vertikalen Gliederung und Materialität der umgebenden Altstadt. Der Versuch, Modernität über gestalterischen Kontrast zu behaupten, scheiterte und das Gebäude wirkte wie ein Fremdkörper am Erwin-Vetter-Platz.
baurmann.dürr wählten den entgegengesetzten Weg. Nicht von innen nach außen, sondern von der Stadt, von den Fassaden, vom öffentlichen Raum aus gedacht näherten sie sich dem Entwurf. Das Ergebnis ist ein Gebäudeensemble, das sich beinahe unsichtbar in den Bestand integriert. Wer den Erwin-Vetter-Platz betritt, sucht vergeblich nach dem Neubau. Selbst die Sparkassenfiliale, die den Hauptteil des Projekts ausmacht, fügt sich so unaufgeregt ins Gefüge ein, dass man sie nur durch einen Hinweis erkennt.
Besonders eindrucksvoll gelingt dies durch die Anlehnung an die benachbarte Fassade des Kaufhauses von Heinz Mohl, einem der bekanntesten Vertreter der Postmoderne. Dessen Architekturidee, expressive Individualität mit historischem Kontext zu verbinden, wird nicht einfach kopiert, sondern sensibel weitergedacht. Die neue Fassade übernimmt Proportionen, Materialien und Gliederungen und lässt so eine visuelle Kontinuität entstehen, die den Stadtraum aufwertet, ohne ihn zu überzeichnen.
Die wahre Stärke des Projekts offenbart sich im Inneren. Die ehemals separaten Gebäude wurden im ersten und zweiten Obergeschoss miteinander verbunden. Es entsteht ein durchgehender, flexibel nutzbarer Raumkörper, der trotz seiner Komplexität überraschend selbstverständlich funktioniert. Das Dachgeschoss wurde ausgebaut und dient unter anderem als Besprechungsraum. Lediglich das Erdgeschoss bleibt kleinteilig und das ist mit voller Absicht so. Hier soll die Nutzung durch Einzelhandel den Altstadtcharakter im öffentlichen Raum fortschreiben. Kleinteiligkeit ist hier kein Mangel, sondern Identitätsstifter.
Die große Kunst der Architekten liegt darin, dass sich die Gebäude innen als Einheit erleben lassen, während außen jeder Bau seine Individualität behält. Die Fassaden bleiben differenziert, mit individuellen Fensterteilungen, Markisensystemen, Dachformen und Gesimsen. Diese Detailverliebtheit ist nichts für das schnelle Auge, sie offenbart sich demjenigen, der genau hinsieht.
Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Bereich zum Rathaus hin. Vier Fassaden greifen hier in unterschiedlichen Farbtönen, Materialien und Maßstäblichkeiten die barocke Architektur des historischen Rathauses auf und lassen dabei dennoch eine gestalterische Zusammengehörigkeit erkennen. Die innere Realität, ein durchgehender Bürokorridor, wird außen durch gestaffelte Fassadenabschnitte überspielt. Der Trick: Der Maßstab der Altstadt wird gewahrt, auch wenn das dahinterliegende Raumprogramm ein anderes ist.
Die bauliche Realität war jedoch kein Spaziergang. Unterschiedliche Geschosshöhen, massive Substanzprobleme in Teilen der Gründerzeitbauten, Anforderungen an Barrierefreiheit und Brandschutz, all dies musste auf hohem Niveau bewältigt werden. Die innere Angleichung der Höhenniveaus etwa wurde nicht mit brachialen Eingriffen, sondern mit fein abgestimmten Niveauversätzen und Verbindungselementen gelöst. Auch der Brandschutz in den historischen Teilen wurde unsichtbar integriert, ohne die Authentizität der Räume zu verlieren.
„Stadtbaustein“ – der Name ist Programm. Es geht nicht um das einzelne Gebäude, sondern um den Beitrag zum Ganzen. Der Stadtbaustein in Ettlingen ist ein Lehrstück darüber, wie Architektur im historischen Kontext heute aussehen kann: unprätentiös, klug, detailliert, städtisch. Ein Projekt, das zeigt, dass „Bauen im Bestand“ nicht gleichbedeutend mit Kompromiss ist, sondern mit Sorgfalt, Respekt und architektonischer Intelligenz zu exzeptionellen Ergebnissen führen kann.
Während vielerorts „Bauen im Bestand“ in einem formalen Mittelmaß steckenbleibt, oft weder Fisch noch Fleisch, demonstrieren baurmann.dürr, dass es auch anders geht. Sie liefern den Beweis, dass man gleichzeitig alt und neu, sichtbar und unsichtbar, funktional und poetisch bauen kann.
Der Stadtbaustein Ettlingen ist mehr als ein gutes Architekturprojekt, er ist ein Statement für einen sensiblen, zeitgemäßen Städtebau. Die Jury der Hugo-Häring-Auszeichnung hat ein feines Gespür bewiesen, diesen Balanceakt zu ehren. Wer heute durch Ettlingens Altstadt geht, wird den Stadtbaustein vielleicht nicht sofort erkennen und genau das ist seine größte Qualität.
Sparkasse in Ettlingen
Sparkasse in Ettlingen
3.	Stadtbaustein Ettlingen, Ansicht vom Marktplatz
Stadtbaustein Ettlingen, Ansicht vom Marktplatz
Stadtbaustein Ettlingen, Ansicht vom Marktplatz mit neu gestalteter Fassade (Mitte)
Stadtbaustein Ettlingen, Ansicht vom Marktplatz mit neu gestalteter Fassade (Mitte)
Schalterhalle der Sparkasse
Schalterhalle der Sparkasse
Schalterhalle der Sparkasse
Schalterhalle der Sparkasse

 

Neugestaltung Jazzclub/Kinemathek in Karlsruhe  

Foyer von Kinematek / Jazzclub in Karlsruhe
Foyer von Kinematek / Jazzclub in Karlsruhe
Finn Jäger
Kreativ statt kapitalstark: Die Wiedergeburt der Kurbel   
Kritik lesen
Der Umbau des Karlsruher Kinos zur Kulturstätte zeigt, wie architektonischer Pragmatismus und gemeinschaftlicher Idealismus große Räume mit kleinem Budget entstehen lassen.
Die Kurbel lebt! Mit einem neuen Nutzungskonzept präsentiert sich das ehemalige Großkino einem bis dato gänzlich neuen Publikum. Mit knappen Mitteln und großer gestalterischer Klarheit wurde hier, realisiert durch Lennermann Krämer Architekten für die Hubertus Wald Stiftung, eines der ältesten Kinohäuser Deutschlands in einen vielseitigen Kulturort verwandelt. Für diese gelungene Verbindung aus Erhalt und Weiterentwicklung wurden Lennermann Krämer Architekten mit dem Preis „Beispielhaftes Bauen“ der Architektenkammer Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Die Kurbel wurde 1957 als modernes Großkino in der neu errichteten Kaiserpassage eröffnet. Mit zwei Sälen und über 700 Plätzen im Hauptsaal zählte sie zu den bedeutendsten Lichtspielhäusern Karlsruhes. Auf den Niedergang der klassischen Großkinos reagierte man, indem der große Saal im Obergeschoss in drei kleinere Kinos umgebaut wurde. Doch die strukturellen Probleme blieben, sodass 2018 die Insolvenz folgte und das Obergeschoss stillgelegt wurde. Nur die Kinemathek im Erdgeschoss führte ihren Betrieb weiter. Bereits vor der Stilllegung entstand die Idee, das Gebäude zu einem vielfältigen Kulturort weiterzuentwickeln. Geplant war, dass der Jazzclub Karlsruhe in die leerstehenden Räume im Obergeschoss einzieht und dort künftig Konzerte und Veranstaltungen ausrichtet. 2019 fiel schließlich der Startschuss für den Umbau, welcher 2024 fertiggestellt wurde.
Im Erdgeschoss wurde die Kinemathek, bekannt für eine sorgfältig kuratierte Arthouse-, Klassiker- und Dokumentarfilmauswahl, in das neue Nutzungskonzept integriert und räumlich neu gefasst. Die baulichen Eingriffe blieben dabei minimal und konzentrierten sich auf die Modernisierung der technischen Infrastruktur für Projektion, Ton und Barrierefreiheit. Das Farbkonzept des ursprünglichen Konzertsaals in Blau und Gold wurde beibehalten und durch Vorhangartig bespannte Wandflächen ergänzt.
Im Zuge des Umbaus wurde das Foyer neu organisiert. Die ursprünglich symmetrisch angelegte doppelläufige Treppenführung ins Obergeschoss wurde aufgelöst und eine der beiden Treppen zurückgebaut, um der bestehenden Barzone im Obergeschoss mehr Raum zu geben. Hinter dieser Barzone wurde im Bereich des alten Treppenaufgangs eine gemütliche Sitzecke etabliert.
Das Foyer blieb in seiner Gestaltung weitgehend unberührt: Der Terrazzo-Boden und wiederhergestellte Wandbilder sorgen für nostalgisches Flair, während Neon- und Grünlicht-Akzente dem Raum einen clubartigen Charakter geben.
Im Kontrast zu dem urbanen Foyer im Erdgeschoss entfaltet die Bar im Obergeschoss eine salonartige Stimmung, welche wesentlich durch vier farbige, unterschiedlich geformte Lampenschirme geprägt ist. So schafft der Barbereich einen atmosphärischen Übergang, der die Gäste subtil auf das Konzerterlebnis vorbereitet.
Das Herzstück der Umbauten bildet der neue Konzertsaal des Jazzclub Karlsruhe, welcher im ehemaligen großen Kinosaal im Obergeschoss realisiert wurde. Beim Umbau des ehemaligen Kinos musste der Raum grundlegend neu strukturiert werden. Der ursprünglich für eine bessere Leinwandsicht im Großkino gekrümmte Boden wurde durch einen neuen Zwischenboden ausgeglichen, um eine ebene Fläche für den Konzertsaal zu schaffen.
Im hinteren Bereich des Saals wurde oberhalb der Nebenräume eine Empore eingezogen. Dafür kam eine selbsttragende Stahlkonstruktion zum Einsatz, die den Konzertsaal um eine zusätzliche Nutzungsebene erweitert. Diese mutige, da kostspielige Entscheidung bricht die klassische Saaltypologie auf und schafft neue Blickwinkel auf die Bühne. Zugleich erfüllt die Empore eine zentrale Rolle im Sicherheitskonzept: Sie ermöglicht einen zweiten Fluchtweg und wurde so im Nachhinein zum unverzichtbaren Bestandteil der Brandschutzplanung.
Die originalen Kinosessel auf der Empore wirken heute als Reminiszenz an die frühere Nutzung und verleihen dem Raum eine besondere Atmosphäre. In gepaarten Reihen angeordnet und ergänzt durch kleine Stehtischlampen, entsteht ein intimer Rahmen, der den Charme des alten Kinosaals auf zurückhaltende Weise weiterleben lässt.
Der Eindruck, dass hier Kultur nicht nur ermöglicht, sondern tatsächlich gelebt wird, durchzieht den gesamten Aufenthalt im Gebäude. Im Gespräch mit Jochen Krämer, Partner des verantwortlichen Architekturbüros Lennermann Krämer, und Nina Rind, Vorstand der Kinemathek, wird deutlich, mit wie viel Improvisation das Projekt über Jahre hinweg realisiert wurde. So diente das Büro kurzerhand als Backstagebereich für eine Bigband, als anders kein Platz zu finden war. Unversehrte Deckenplatten aus dem Büro wurden gegen beschädigte Platten im Backstagebereich ausgetauscht, damit der Raum besser wirkt, während das Büro mit den Macken lebt. Diese pragmatische Energie prägt! Das Gebäude strahlt eine Lebendigkeit aus, die sich mit Geld allein nicht herstellen lässt. Sie wirkt nicht glatt oder perfekt, sondern echt und lebendig und schafft das, was gebraucht wird, einen offenen Raum für Stadtgesellschaft und Kultur.
 
Oberes Foyer von Kinematek/Jazzclub
Oberes Foyer von Kinematek/Jazzclub
Bar im oberen Foyer
Bar im oberen Foyer
Der Architekt Jochen Krämer führt das Seminar „Städtebauliche Typologien – Werkstatt Architekturjournalismus“ durch den neuen Konzertsaal.
Der Architekt Jochen Krämer führt das Seminar „Städtebauliche Typologien – Werkstatt Architekturjournalismus“ durch den neuen Konzertsaal.
Konzertsaal des Jazzclubs
Konzertsaal des Jazzclubs

 

Konzertsaal des Jazzclubs
Konzertsaal des Jazzclubs
Konzertsaal des Jazzclubs
Konzertsaal des Jazzclubs
Kleiner Kinosaal
Kleiner Kinosaal

Weitere Beiträge aus dem Seminar „Städtebauliche Typologien – Werkstatt Architektur-Journalismus: Wir schreiben über Architektur“:

Eiermanns Erbe: Architektur oder Erinnerungslast?

Vom Bahnhof in die Geschichte: Baden-Baden zwischen Welterbe, Verkehrsanbindung und urbaner Identität